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Januar 2022

Ohne Sprache

Viele Piktogramme und Symbole organisieren laufend Abläufe in der modernen Welt, da sie unabhängig von Sprache und Kultur funktionieren und allgemein verständlich sind. Eine wichtige Rolle spielen sie zur Orientierung, z.B. im Handel und Verkehr. Wir kennen sie alle, die internationalen Bildzeichen als Wegweiser nicht nur im Dickicht der Städte und in den umfassenden Verweissystemen von Flughäfen oder Bahnhöfen, sondern schlicht überall. Die Reduktion auf das Wesentliche ist eine Haupteigenschaft des Piktogramms und es kommen stetig neue hinzu – so wie aktuell in der Coronakrise. Eine weitere Ebene sind Emojis, die in Form eines Piktogramms und/oder Ideogramms auftreten und selbstverständlich insbesondere in Chats eingesetzt werden, um sprachliche Begriffe zu ersetzen.

Den amerikanischen Künstler Matt Mullican faszinieren diese Bildsysteme und er entwickelte für die Skulptur Projekte Münster 1987 ein eigenes Zeichensystem und verknüpfte Bestandteile der Wirklichkeit und des Alltags mit seiner subjektiven Welt – und erweiterte sie um eigene Bildfindungen. Es sind private Zeichen, die es ihm erlauben, jede Art von menschlicher Tätigkeit, Vorstellung oder Deutung in seiner eigenen Kosmologie und Ordnung zu verbildlichen.

Am 10. Januar 2022 ließ Mullican in Münster an 32 Fassaden von Geschäften fünf Meter lange Fahnen hissen: 4×8 Flags from a Stone. Fahnen als nonverbale Symbolträger spielen bei ihm eine wichtige Rolle. Dafür wählte er acht Motive aus seinem Zeichensystem aus. Auch in dieser Installation ist das Bild des Kreislaufs ein wiederkehrender Ausgangspunkt für Mullicans künstlerische Arbeit, denn der Prinzipalmarkt, Münsters „Gute Stube“, mit seinen Geschäften und Arkadengängen steht beispielhaft für die Umwandlung von Ressourcen zu Waren und deren Zirkulation. Die einfarbigen Flaggen in den Grundfarben markieren die Konsumkreisläufe von Produkten und Rohstoffen bis zum Konsumenten. Jede Farbe hat einen symbolischen Wert: Grün steht für die Materie, Blau für die Alltagswelt, Gelb für die vom einzelnen Gegenstand gelöste abstraktere Vorstellung oder die Idee an sich, Schwarz und Weiß für Sprache und Rot für das Subjektive. Diese Farbsymbolik kombiniert der Künstler mit vorgefundenen oder selbst entworfenen Piktogrammen: wie z.B. Waage, Telefon, Treppen, Wassertropfen oder Geschenke.

Die Installation zeigt im öffentlichen Raum einen weiteren Aspekt der Ausstellung „Nimmersatt? Gesellschaft ohne Wachstum denken“ (bis 27.02.22) einem Kooperationsprojekt von Kunsthalle Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur und Westfälischen Kunstverein. Nach Ende der Ausstellung stellt Mullican, dem Nachhaltigkeitsgedanken entsprechend, den Mitgliedern des Westfälischen Kunstvereins 16 dieser Flaggen als Jahresgaben zur Verfügung.

Eine nächste Möglichkeit, Mutt Mullicans Werk zu erleben, bietet sich ab Herbst 2022 in Lübeck an. Dort erhält der Künstler den Possehl-Preis für Internationale Kunst und richtet eine Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen und an anderen Orten der Stadt aus.

[U.R.]

Matt Mullican: 4×8 Flags from a Stone
Prinzipalmarkt, Münster, Januar 2022
Im Rahmen von: „Nimmersatt? Gesellschaft ohne Wachstum denken“
Foto: Ursula Rüter
v.l.n.r.: Thomas Zumnorde, Sprecher der Kaufleute am Prinzipalmarkt; Dr. Marianne Wagner, Kuratorin LWL-Museum für Kunst und Kultur; Kristina Scepanski, Direktorin Westfälischer Kunstverein; Tobias Viehoff, Vorstandsvorsitzender Westfälischer Kunstverein
Foto: Ursula Rüter