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Februar 2023

The Other Side

Käthe-Kollwitz-Preis 2022. Nan Goldin, 20.01.– 19.03.23
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin [Foto: S.H.]

Wenn jemand viel gesehen und erlebt hat und das in der künstlerischen Arbeit so intensiv und berührend zeigen kann, dann ist es die Fotografin Nan Goldin. Sie porträtiert Menschen und ihre Geschichten aus dem unmittelbaren Moment heraus. Die Protagonist*innen sind ihre persönlichen Beziehungen: Freunde, Liebhaber oder Vertraute, die ihr sehr nahe stehen - ihre geliebte Ersatzfamilie, denn die leibliche Familie verließ sie mit 14 Jahren.

2022 wurde sie von der Kunstzeitschrift Monopol auf Platz eins der 100 einflussreichsten Künstler*innen gewählt und Anfang März 2023 verleiht die Berliner Akademie der Künste (AdK) Nan Goldin den Käthe-Kollwitz-Preis 2022. Begleitend ist die wunderbare Nan Goldin Ausstellung bis zum 19. März am Standort der AdK am Hanseatenweg zu sehen. Die Auswahl der Arbeiten aus fünf Jahrzehnten ihres Schaffens wurde von der Fotografin mit kuratiert und ist ganz bewusst keine Retrospektive.

Nan Goldins zeitgenössische Fotografie beschäftigt sich mit Themen wie Drogensucht, Gewalt, Krankheit, Depression und Tod, aber auch Sexualität und Liebe. Schon in den 1970er Jahren suchte sie den Kontakt zu gesellschaftlich ausgegrenzten Menschen und Randgruppen wie Dragqueens und Transsexuelle, mit denen sie auch fotografisch das Nachtleben in Boston, Bangkok oder Berlin erkundete. Goldin bricht Tabus und zeigt schon früh die Welt der LGBTQ- Community. Da sie in dieser Phase keinen Zugang zu einer Dunkelkammer hatte, präsentierte sie ihre Aufnahmen als Dias in Nachtclubs und Untergrundkinos, während die Besucher*innen passende Musik dazu hörten.

Durch die emotionale Verbundenheit und Intimität verschmilzt ihr Werk mit ihrem Privatleben. Diese Fotografien oder die zu großen thematischen Tableaus zusammengestellten sogenannten Grids ziehen uns unweigerlich in ihren Bann. Einen kurzen, aber entscheidenden Moment hält Goldin immer in ihrer Arbeit fotografisch fest, sie ist bei intimsten Situationen dabei. Möglich ist das nur in einem Verhältnis bedingungslosen Vertrauens, das Einfühlungsvermögen und Zugewandtheit spiegelt. Die menschliche und die künstlerische Haltung sind identisch bei Nan Goldin. Sie hat selbst alles erlebt wie auf einer Überholspur, exzessiv, chaotisch, intensiv und extrem. Und jetzt ist sie als Fotografin und als politische Aktivistin weltberühmt. Fotografen wie Tobias Zielony oder Wolfgang Tillmans hat sie künstlerisch beeinflusst.

Der Film von Laura Poitras All the Beauty and the Bloodshed (2022), der am 5.5.2023 in der Akademie der Künste als Preview gezeigt wird, ist nur folgerichtig bei der diesjährigen Oscarverleihung für den besten Dokumentarfilm nominiert. Auf der Biennale in Venedig 2022 wurde der Film mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Er beleuchtet die Karriere von Nan Goldin und den Niedergang der Pharmafamilie Sackler, die mit dem Konzern Purdue Pharma für die Opioid-Epidemie und einer stark angestiegenen Zahl von Drogenabhängigen in den Vereinigten Staaten verantwortlich ist. Goldins langjährige Abhängigkeit von dem Produkt Oxycontin, das ihr als Schmerzmittel verschrieben wurde, gab der Opioid-Krise in den USA ein bekanntes Gesicht und sie organisierte erfolgreich 2018 umfangreiche Proteste gegen Sackler, die als potente Kunstmäzene weltweit ihr Geld in Museen wie das MoMA, das Metropolitan Museum, das Guggenheim Museum oder den Louvre investierten. Viele Museen reagierten darauf und kündigten schließlich die Zusammenarbeit mit der Familie Sackler auf.

Die Künstlerin hat einen engen Bezug zu Berlin: Sie hat einige Jahre in der Metropole gelebt und besucht sie immer wieder. Viele Fotografien sind in Berlin entstanden und dokumentieren ihre Zeit hier. Wir sind gespannt auf das Wiedersehen, denn als Agentur betreuten wir schon 2010 die Medienarbeit der großartigen Ausstellung „Nan Goldin. Berlin Work. Fotografien 1984 bis 2009“ in der Berlinischen Galerie.

[U.R.]